A wie Autismus
„Viele Wörter, die ich mit Autismus in Verbindung bringe, beginnen mit dem Buchstaben „A“… Anderssein, auffälliges Verhalten, Auto- und fremdAgressivität, anstrengender Alltag, a-typischer Tag-Nacht-Rhythmus, Alleinesein und Allein gelassen werden, andauernd in „Hab-Acht-Stellung“….
Die Auswirkungen, die der Autismus auf mein Leben hat, sind vielfältig. Manchmal ist das Verhalten meines Sohnes so klar vorauszusehen, dass ich mich wie ein Hellseher fühle und manchmal denke ich, dass ich die Reaktionen meines Sohnes niemals verstehen werde. Für mich bedeutet Autismus ein Fluch und ein Segen.
Autismus ist ein Segen, ein Geschenk, denn dadurch habe ich gelernt, dass eine „normale“ Entwicklung eines Kindes nicht selbstverständlich ist. Jeder ist so wie er ist, wertvoll und liebenswert – auf seine eigene Art und Weise. Fortschritte, die erzielt werden, kommen (meistens) nicht von selbst, sondern sind i.d. R. hart erarbeitet. Manche Verhaltensweisen oder Fähigkeiten sind plötzlich weg – und kommen später wieder – das gilt für die positiven genauso wie für die negativen. Strukturen, Regeln und Konsequenz erleichtern das Leben mit einem Autisten enorm. Das bedeutet aber auch im Umkehrschluß für die Erziehenden, stark genug zu sein, dies durchzuhalten. Wie viel leichter ist es, nachzugeben, eine „Ausnahme“ zu machen – damit man einfach nur seine Ruhe hat? Das zu erkennen, und durchzuhalten erfordert eine Menge Kraft, - und zwar dauerhaft.
Ein Fluch…frühkindlicher Autismus ist oftmals verbunden mit stark eingeschränkter Alltagskompetenz. In unserem Fall bedeutet das Pflegegrad 4. Diese Kombination Autismus und Pflegegrad bringt mich immer wieder an den Rand der physischen und psychischen Belastbarkeit. Seit Jahren frage ich mich, ob sich das überhaupt unter diesen Voraussetzungen unter einen Hut zu bringen lässt: eine Familie zu sein, eine Ehe zu führen, einen Beruf auszuüben, einen Haushalt – ohne Chaos - zu führen, Hobbies und Freundschaften zu pflegen.
Auch das habe ich gelernt: die Hoffnung nicht aufzugeben, immer wieder zu kämpfen, allen Herausforderungen zum Trotz. Hilfe zu suchen, Hilfe anzunehmen und auch Hilfe abzulehnen, wenn es keine wirkliche Hilfe bedeutet, sondern nur von den Mitmenschen gut gemeint ist. Ganz besonders lerne ich immer wieder im Austausch mit anderen betroffenen Eltern, denen es ganz genauso geht und ich mich mit meinen Problemen nicht alleine fühle, sondern verstanden. Es mag nicht immer sofort „die Lösung“ geben, aber das muss es auch nicht. Es gibt viele Wege, mit Situationen umzugehen, Probleme zu lösen, manchmal braucht man halt mehrere Anläufe und muss einige Umwege mit in Kauf nehmen.
Am besten hilft da, die eigene Sichtweise zu ändern. Es ist nicht einfach, mit einem Autisten zu leben. Einfach kann jeder. Aber wir sind nicht jeder. Wir sind die Eltern von Autisten. Wir sind, genauso wie unsere Kinder, etwas ganz Besonderes. Und darum ist Autismus ein Geschenk, ein Geschenk für besondere Menschen.“
von Antje Voß